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Das Leben nach dem Tode
von Kurt Zelt --- (veröffentlichte Fassung)
Teil 1: Sterben
Es regnet. Die Straßen der Stadt sind um diese abendliche Zeit ziemlich
ruhig. Frierend sitzt eine ältere Frau in einer überdachten Bushaltestelle.
Der Regen prasselt lautstark auf das Plexiglasdach. Ein Lkw holpert die
Straße entlang, und Regenwasser wird auf den Gehsteig gespritzt.
Aus einem Restaurant treten lachend ein paar gut gekleidete Gäste.
Sie gehen eilig auf ein herannahendes Taxi zu.
Niemand aber bemerkt die Gestalt auf der anderen Straßenseite.
Durch ihren dunklen Mantel und halb verborgen im Schatten des Hauseingangs
ist sie nur schwer auszumachen. Regenwasser tropft von ihrer Hutkrempe.
Sie wartet. Sie hat alle Zeit der Welt. Und daran kann auch der Regen
nichts ändern.
Es wird kälter.
Die lachenden Restaurantgäste steigen in das Taxi. Einer nennt
das Ziel. Der Wind trägt die Worte verzerrt herüber. Die Türen
schlagen zu, und das Taxi fährt an. Das Nageln des Dieselmotors ist
ruhig und gleichmäßig.
Etwas später hält ein Bus. Es ist ein moderner Linienbus,
bei dem eine Aufschrift auf einen eingebauten Dieselkatalysator hinweist.
Zischend öffnet sich die Tür des Busses. Zwei Jugendliche steigen
aus, die ältere Frau steigt ein.
Mit einem erneuten Zischen schließt sich die Tür, und der
Bus fährt an.
Eine leere Getränkedose vor sich her kickend, bewegen sich die
Jugendlichen um die nächste Straßenecke. Das Scheppern der Dose
wird leiser. Auch der Bus hat sich inzwischen entfernt.
Es ist ruhig. Zu ruhig.
Und niemand beachtet die dunkle Gestalt auf der anderen Straßenseite.
Eine dunkelblaue Limousine rollt leise heran und biegt in eine Einfahrt.
Ein Bentley mit getönten Scheiben. Kurz darauf ist das Surren eines
elektrischen Garagentores zu hören. Der Wagen rollt knirschend über
den nassen Kies bis in die Garage. Das Motorgeräusch erstirbt.
Eine Wagentür wird geöffnet und wieder geschlossen. Schritte.
Eine Haustüre öffnet sich, dann ein leichtes Seufzen.
Die Person, wer sie auch immer sein mag, ist jetzt offentsichtlich
zu Hause. Sie hat nicht die dunkle Gestalt bemerkt, die sie sehr aufmerksam
beobachtet hat.
Ruhe. Die ersten Schneeflocken fallen.
Die dunkle Gestalt läßt noch einige Minuten verstreichen,
dann macht sie sich auf den Weg.
"Mach Dich bereit zum sterben!" zischt sie leise vor sich hin.
Die Stimme ist männlich, und in ihr schwingt eine leichte Unsicherheit
mit, aber auch Zorn und Haß.
Die Gestalt betritt das Grundstück, auf das zuvor die Limousine
fuhr. Unter ihrem Mantel verborgen trägt sie einen langen Gegenstand.
Leise, fast geräuschlos, bewegt sie sich nun auf eines der Fenster
zu. Mit wenigen Handgriffen wird ein Regenfaß so positioniert, daß
das Fenster bequem zu erreichen ist.
Ein Klirren. Die Gestalt hat eine Scheibe eingeschlagen, um sich so
Zutritt ins Haus zu verschaffen. Weiterhin Stille. Anscheinend hat niemand
das Klirren registriert.
Die dunkle Gestalt steigt durchs Fenster, verletzt sich dabei an einer
Scherbe. Blut tropft auf den Teppich, Glassplitter knirschen unter den
Sohlen ihrer Schuhe.
Die Gestalt reißt ein Stück des Fenstervorhangs ab. Dabei
kracht die Messingstange herunter und hätte sie beinahe getroffen.
Wieder ein Fluch.
Mit einem Stoffetzen ist die Verletzung vorerst versorgt. Aber das
ist momentan nicht so wichtig.
Offensichtlich war ihr Eindringen doch zu laut, denn nun sind Schritte
zu vernehmen, und unter dem Türspalt ist einen Lichtschein zu sehen.
Macht nichts. Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, dann kommt
eben der Prophet zum Berg! Sterben wirst Du sowieso, Du mieses Stück!
Die Hand klammert sich nun fest um den unter dem Mantel verborgenen
langen Gegenstand.
"Hallo, ist da wer?"
Eine kräftige, aber unsichere Stimme.
Zögernd wird die Zimmertüre geöffnet. Eine Hand tastet
nach dem Schalter. Das Licht geht an.
Der Hausherr steckt langsam seinen Kopf durch den Türspalt. Als
er den Eindringling erkennt, der nun ganz ruhig in der Mitte des Raumes
steht, reißt er erstaunt die Augen auf.
"Was machst Du denn hier? Ich dachte . . . ".
Der Eindringling stürzt, das Brecheisen in den Händen, auf
seinen Gegner los. Fast schon zu spät reagiert der verdutzte Hausherr.
Nur knapp kann er dem Schlag ausweichen und springt zum Schreibtisch, reißt
eine Schublade auf.
Der Revolver!
Offensichtlich weiß der Eindringling nichts von der Existenz
dieser Waffe.
Als er mit wüsten Beschimpfungen eine erneute Attacke startet,
wird der Revolver mehrfach abgefeuert.
Der Eindringling ist schon tot, bevor er auf dem Boden aufschlägt
. . .
Teil 2: Tod
Es ist ruhig. Und es ist dunkel. Es ist weder warm noch kalt. Es ist merkwürdig.
So langsam setzen die Gedanken wieder ein.
Wo bin ich?
Eines weiß er noch: Er wollte ihn töten. Ihn, der für
all das Unglück, all das Leid verantwortlich ist.
Doch was ist dann passiert? Da war ein Revolver. Da waren Schüsse.
Und danach war nichts mehr.
Nichts mehr?
Bin ich jetzt tot?
Tja, so könnte man das nennen, vernimmt er eine Stimme,
die aus seinem eigenen Inneren zu kommen scheint.
Aber warum kann ich dann noch... denken?
Weil der Tod nicht das ist, was du dir darunter vorgestellt hast.
Wieso? Was . . . ist denn nun mit mir?
Warte, gleich wirst du dich erinnern, und alle Fragen werden sich
von selbst beantworten!
Es ist wieder ruhig. Und es ist immer noch dunkel. Es ist weiterhin
weder warm noch kalt. Es ist sehr merkwürdig.
Und dann brechen die ganzen Erinnerungen auf einen Schlag auf ihn ein:
Der mißlungene Mordanschlag und der Schmerz der in seinen Körper
eindringenden Kugeln. Davor die Gerichtsverhandlung, an deren Ende dieser
Verbrecher freigesprochen wurde. Aus Mangel an Beweisen, so hieß es.
Dabei war doch alles völlig klar: Die Vergewaltigung, die Ermordung seiner Frau.
Die Sinnlosigkeit des Lebens danach.
In der Zeit weiter zurück: Familienidylle, Erfolg im Beruf, viele Freunde.
Davor? Die Studienzeit . . . davor . . . die Schulzeit . . . weiter
zurück . . . die Kindheit . . .
Und davor? Es ist wie ein Lichtblitz . . .
Eine Mauer wird durchbrochen!
Davor war ein anderes Leben. Eine Fabrik, in der er arbeitete, um seine
in ärmlichen Verhältnissen lebende Familie zu ernähren.
Es war die Zeit der technischen Revolution, aber auch eine Zeit der Ausbeutung.
Eine gewaltige Dampfmaschine stand in der Halle. Ein Riemen riß, und ein
tonnenschweres Rad hatte ihn erschlagen. Auch damals war er sofort tot gewesen.
Und davor?
Wieder ein anderes Leben. Ein Segelschiff. Es war in einen Orkan geraten.
Er mußte die Taue festzurren, als ihn ein Brecher vom Schiff fegte.
"Mann über Bord!" wurde noch gerufen.
Doch es war hoffnungslos. Er wurde nach unten gesogen; das Wasser preßte
ihm die Luft aus den Lungen, bis er das Bewußtsein verlor.
So sollte er von der Entdeckung des neuen Kontinents in diesem Leben nie erfahren.
Und davor?
Die Felder brannten. Wahrscheinlich war gerade wieder Krieg, aber das
wußte im Dorf niemand so genau. Schließlich waren alle dort
nur einfache Bauern. Reiter machten alles dem Erdboden gleich.
Frauen wurden vergewaltigt und Kinder getötet. Auch seine Frau.
Auch seine Kinder. Nur das jüngste Kind sah er nicht; vielleicht war
es ja entkommen. Er betete zu Gott, daß es so war.
Mit einer einfachen Mistgabel versuchte er sich zur Wehr zu setzen, sein letztes
Hab und Gut zu verteidigen, doch es war zwecklos. Ein Beil durchtrennte seine Mistgabel
und traf seinen Kopf mit voller Wucht. Er war sofort tot.
Und davor?
Unzählige weitere Leben. Viel Freude und Glück, aber auch viel Leid.
Komischerweise war er in keinem seiner Leben besonders alt geworden.
Jedesmal endete seine Existenz tragisch. Einmal sogar in einem Kochtopf
feindlicher Kannibalen . . .
Alle Erinnerungen - so gewaltig!
Ja, was ist denn nun mit dem Tod? Folgt jetzt etwa wieder ein neues
Leben? Gibt es die Reinkarnation, von der in manchen fernöstlichen
Religionen so viel gesprochen wird?
Wird er in seinem neuen Leben die Chance haben, seine Rache zu vollenden?
Oder wird auch dieses wieder tragisch enden?
Warum konnte er sich zu Lebzeiten nie an seine früheren Leben
erinnern? Steckt hinter der ganzen Sache ein kosmischer Plan?
"So, gleich kommt er zu sich!"
Diese Stimme kommt von außen.
Licht. Seine Augen brauchen einen Moment, um sich daran zu gewöhnen.
Es sind ungewohnte Augen, und es ist auch ein ungewohntes Bild, das er sieht.
Jetzt spürt er auch die Kälte. Es ist eine merkwürdige
Kälte, die jedoch sehr schnell vergeht.
Und schlagartig wird ihm alles klar . . .
Teil 3: Erwachen
Alle Glieder sind noch steif, und auch die Augen haben sich noch nicht
vollständig an das Licht gewöhnt. Aber es geht.
JKL-323, von seinen Freunden im allgemeinen kurz Joe genannt, setzt
den Induktionshelm ab und steigt aus der Kabine mit den Computerverbindungen.
Es ist eine von sehr vielen.
"Ich hoffe, Ihnen hat der Aufenthalt gefallen." Die freundliche Dame
des Service-Personals lächelt ihm entgegen. Auf einem Schildchen über
ihrer Brust kann Joe ablesen, daß sie FFR-112 ist. Ihm fällt
auch wieder ein, daß sie von ihren Kollegen Fan gerufen wird.
Aber es kommt ihm so vor, als wäre das alles schon fünfzig Jahre her . . .
"Doch, es war richtig nett. Und auch der gewaltsame Tod - das ging
richtig unter die Haut", antwortet er mit einem verschmitzten Lächeln
auf den Lippen. "Es ist wirklich eine sehr interessante Welt, wie
ich jedesmal aufs Neue wieder feststelle. Ich glaube, im nächsten
Zyklus werde ich dort wieder einen Aufenthalt buchen."
"Es freut mich sehr, wenn es Ihnen gefallen hat. Übrigens, GOD-100
bittet darum, daß Sie mal bei ihm vorbeischauen.
GOD-100 ist niemand anderes als der geniale Erschaffer dieser Welt,
aus der Joe gerade kommt. Zufällig ist er mit Gene, wie er GOD-100
immer nennt, schon seit ewigen Zeiten befreundet.
Auch deshalb verbringt er seinen Simul-Urlaub bevorzugt bei ihm - oder
besser gesagt: in Genes Welt.
Epilog
Es ist schön, im dunklen Warmen zu liegen. Doch das ist jetzt schlagartig
vorbei. Da vorne - ein Licht!
Er wird herausgepresst, mit dem Kopf zuerst. Es ist viel zu hell und viel zu kalt!
Er spürt, wie er an den Füßen, mit dem Kopf nach unten
gehalten wird - und den Schlag auf das Hinterteil. Er schreit.
Er wird in etwa fünfundvierzig Jahren an einem schweren Unfall sterben.
Das ist so vereinbart, dafür hat er gezahlt. Aber das weiß
er jetzt natürlich nicht mehr . . .
Ende
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